Die Drei Grazien

(private collection, Salzburg, by permission)

 

 

Es waren einmal drei Schwestern, die stritten viel, aber sie hatten sich auch gern.

Die Älteste war ein schöner Engel mit braunen Locken, Haut wie Milch und Augen wie glasklare Bergseen. Ihre zwei Flügel waren eigentlich ein Paar zusätzliche Arme, damit konnte sie viel mehr machen, als alle anderen. Alles, was sie tat, geschah auch mit grosser Kraft, auf grund dieser zusätzlichen Arme.

Die zweite war eine runde Wolke, in der ein Stückchen in der Mitte fehlte, weil die Mutter ihr immer in die Wange biss.  Das geschah nicht aus Bösartigkeit, sondern nur aus Naschsucht. Die kleine Wolke lernte erst später, als sie grösser wurde, schnell davon zu fliegen.

Die dritte war ein kleines Kirschbäumchen, und es hatte nur zwei Kirschen, die aber sehr dunkel waren, man konnte glauben, schwarz.  Damit sah sie alles in ihrer Umgebung, den Engel, die Wolke, und die Mutter, die so arg biss, aber auch den Vater, der das Bäumchen goss.

Beissen und Gießen war die tägliche Nahrung.

Eines Tages, als die Eltern ausgegangen waren, und die Töchter von einer Haushaltshilfe namens Frau Grete versorgt wurden, schnappte sich der Engel die Hausschlüssel und verkündete der Frau Grete, dass alle drei, der Engel, die Wolke, und das Bäumchen jetzt das Haus verlassen würden, denn es war ihnen so fad, so entsetzlich fad. Es gab noch kein Internet, und die Kinder hatten auch nur ein gemeinsames Zimmer. Man konnte gar nichts alleine tun, auch wenn man wollte, und es gab auch nichts im Zimmer, gar nichts. Frau Grete wimmerte, weinte, schrie, aber konnte nicht verhindern, dass die Mädchen in Eile zur Haustür rannten, an den drei Sicherheitsschlössern hantierten, bis ein letzter Hebel quietschend zurücksprang, und den Weg endlich freigab, in die Welt.  Der Engel flog mit dem Bäumchen im Schlepptau voran,  und die Wolke flog hinterher –und sie lachten, nein sie schrien, lauter als Frau Grete, deren Klagen wie ungeübte Blasmusik nachhallten.

Sie kamen zu einem Garten, ohne Eingang, aber dafür mit Zaun. Die Wolke flog darüber, und fing das Bäumchen auf, das der Engel auf die andere Seite schubste. Die drei Schwestern verbrachten eine lange Zeit—man weiss heute nicht mehr, wie viele Tage und Nächte–  in diesem verlassenen Garten, und ernäherten sich von den Pflaumen, die zu dieser Jahreszeit gerade reif waren. Als sie merkten, dass sie lernen konnten, ihre eigene Welt zu bestimmen, entschieden sie sich, in die Wohnung zurückzukehren.

Der Vater empfing sie an der Haustüre mit lauten Zurufen, und klatschenden Händen. Er sagte, er sei noch niemals so stolz auf seine Kinder gewesen, wie an diesem Tage. Denn niemand hatte ihnen sagen können, was sie  durften und was nicht. Seine Töchter hatten sich benommen, wie er es von sich selbst immer wollte.

Die Kinder haben ihn natürlich gehört, aber sie haben nicht verstanden, wie er das meinte.

 

 

 

 

Andrea Wiedermann Davis, born in Vienna, recently retired from teaching French and German. This fabulist flash fiction belongs to a longer multi-genre work in progress.